Ja, sozialer Zusammenhalt kann hergestellt werden, indem wir dem Konzept des Widerspruchs und damit dialektischem Denken in der Wissenschaft mehr Raum geben. In der Stadtplanung brauchen wir gleichermaßen mehr Raum für Widerspruchs- und damit Konfliktbearbeitung, mehr Experimente mit Formen von Beteiligung und Demokratie und eine systematischere Wahrnehmung der Potentiale von Konflikten.
Des Weiteren müssen wir verstehen, welche konkreten gesellschaftlichen Mechanismen eine relevante Rolle für sozialen Zusammenhalt und die Fähigkeit der Widerspruchsbearbeitung in einer spezifischen Stadt/Nachbarschaft/Land zu einem bestimmten Zeitpunkt spielen. Mechanismen, wie zum Beispiel :
Politik: Wer hat Bürgerrechte und hat somit ein gewisses Mitspracherecht und Rechtsschutz? Entspricht diese Verteilung der Rechte noch der aktuellen gesellschaftlichen Struktur in einer Stadt?
Sozioökonomie: Wer hat Zugang zum Arbeitsmarkt? Gibt es der Struktur des Arbeitsmarkts zu Grunde liegende strukturelle Ungleichheiten? (Situation von Jugendlichen mit Hauptschulabschluss, Arbeitsverbot für Asylwerbende, etc.)
Andreas Novy/Sarah Habersack
Ja, wir können sozialen Zusammenhalt herstellen. Dies ist daran erkennbar, dass sich bei Mitgliedern von Agendagruppen Wissen und Kompetenzen, Kontakte zu PolitikerInnen, Institutionen und vielen anderen Menschen erhöhen. Das verbessert die Chancen auf gesellschaftliche Teilhabe für die jeweils Aktiven und stärkt damit sozialen Zusammenhalt.
Andrea Binder-Zehetner
Sozialer Zusammenhalt kann auf lokaler Ebene, zwischen Milieus, durch Interessensklärung und Organisation von Aushandlungsprozessen in Stadtteilen hergestellt werden. Vertikal ist sozialer Zusammenhalt nur begrenzt herstellbar, kann aber durch die Stärkung von linking social capital (Zugang zu öffentlichen Institutionen und politischen Entscheidungsprozessen) unterstützt werden.
Christoph Stoik
Ich gehe davon aus, dass ein Mindestmaß an sozialem Zusammenhalt in der Gesellschaft vorhanden ist, da dieser das Ziel jeder Sozialpolitik und eine Voraussetzung für eine demokratische Gesellschaft darstellt.
Die Frage lautet daher für mich eher: „Wie können wir den sozialen Zusammenhalt verbessern bzw. wie können wir verhindern, dass unsere Gesellschaft weiter auseinander bricht?“
Allgemein ist es daher notwendig, soziale Ungleichheiten zu beseitigen oder zumindest zu minimieren, Chancengleichheit in Bezug auf gesellschaftliche Teilhabe, Zugang zu Bildung, Gesundheit und zum Arbeitsmarkt herzustellen.
Auf der lokalen Ebene geht es darum, zur Verbesserung des Zusammenlebens und zu gegenseitigem Verständnis beizutragen. Dabei sollen nicht Defizite sondern in erster Linie die jeweiligen Potentiale im Vordergrund stehen und für alle sichtbar gemacht werden.
Dazu ist das Kennen Lernen der jeweils anderen Lebensstile und Gewohnheiten sowie der anderen Bedürfnisse nötig, sowie das Aushandeln von möglichen Kompromissen bei Konflikten
Konflikte bedeuten nicht notwendigerweise eine Gefahr für den sozialen Zusammenhalt, nur wenn diese nicht in einer angemessenen Form ausgetragen, Unsicherheiten und Ängste nicht angesprochen werden, sind Konflikte gefährlich.
Wichtig sind auch Projekte, die es BewohnerInnen unter Nutzung der vorhandenen Potentiale ermöglichen, Kompetenzen zu erwerben und sich mit diesen Kompetenzen in die Stadtteilarbeit oder auch anderswo einzubringen.
Beispiel: Ein von BFI und AMS gefördertes Projekt in Linz, das die Ausbildung von Zuwanderinnen zu „Kulturlotsinnen“ beinhaltet. Diese gestalten Führungen in einem als benachteiligt geltenden Stadtteil zu bestimmten Themen und mit einem jeweils persönlichen Bezug der jeweiligen Kulturlotsin. Diese Führungen erfreuen sich einer regen Teilnahme sowohl von TouristInnen als auch von LinzerInnen, sie tragen zum gegenseitigen Verständnis der jeweils „anderen“ bei und stärken das Selbstbewusstsein der an dem Projekt beteiligten Frauen.
Antonia Coffey